Distribution der Zwischenräume

Warum es wichtiger ist Schnittstellen auszutauschen als Gegenstände und wie Open Source EntwicklerInnen sich dies zu Nutzen machen

Micz Flor | transmediale catalogue | Juni 2001

Distribution ist wahrscheinlich der Begriff mit dem höchsten Distinktionswert, der das Internet beschreibt. Versucht man dem Unterschied auf die Spur zu kommen, der den lokalen Desktop PC vom vernetzten Computer unterscheidet, dann ist das eben genau das Vernetzte selbst, das Kabel, das Protokoll und die impliziten Standards, die es ermöglichen mehrere Computer miteinander zu verbinden.

Hat man sich in den 80er Jahren noch mit der Digitalisierung aller denkbaren Formate befasst, waren die 90er damit beschäftigt, diese digitalen Formate nicht nur auf alle denkbaren Geräte zu portieren, sondern vor allem Wege zu finden Formate zwischen solchen Geräten zu übertragen. Dies geschieht heute - drahtlos oder nicht - in der Regel über das Internet, bzw. Standards und Protokolle, die dem Internet verwand sind.

Viel Aufmerksamkeit haben solche Modelle der Distribution in den letzten Jahren erregt. Allen voran Napster, das die Begriffe ‚peer-to-peer’ und ‚file sharing’ in die Feuilleton-Seiten der Tageszeitungen brachte. Hätte es ein Manual für den effizienten Umgang mit dem Internet gegeben, Napster hätte sich Wort für Wort daran gehalten. Da dem nicht so ist, darf man rückblickend feststellen, dass Napster das Kapitel ‚alternative Distributionsformen in digitalen Netzwerken’ in diese Welt geschrieben hat. Und nach getaner Arbeit ist man drauf und dran das Kapitel zu schliessen.

Die Öffnung eines globalen Marktes durch das Internet heisst in erster Linie: Zugriff auf eine Form der Distribution die potentiell jede/n erreicht, also ein globales Vertriebs-Netz, das in einer analogen Welt den Multi-Nationals vorbehalten war. Digital beschleunigt und grenzenlos zu vervielfältigen: dieses Zusammenspiel an Charakteristika von Infrastrukturen auf der einen Seite und den Inhalten auf der anderen, haben die Lobbyisten der alten Wirtschaft auf den Plan gerufen, dem einen Riegel vorzuschieben. Die Diskussion um Recht und Unrecht in solchen Strukturen ist ein Kapitel für sich, das ebenso gerade geschrieben wird.

Das für und wieder der Diskussion beschäftigt sich heute in Anlehnung an das Wertesystem der ‚alten Welt’ an die Produkte, die es zu vertreiben gilt. Allen voran die Frage, ob Global Player und ihre Global Stars verarmen, wenn ‚Musikstücke’ sich wie von selbst verbreiten und vervielfältigen. Dem selben Konzept folgend, beschäftigt sich die Frage nach Software und Piraterie mit den Übeln der freien Verfügbarkeit von Produkten.

Daran geknüpft ist die Diskussion um Patente und Urheberrecht. Zum einen der Schutz der KünstlerInnen und Verlagshäuser, zum anderen der Schutz der ProgrammiererInnen und Firmen. Denn als Schutz waren diese Rechte vor Jahrhunderten geplant, wenn man sich auch zunehmend schwer tut die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass Patent- und Urheberrecht in seiner bestehenden - oder vorgeschlagenen - Form wirklich den ‚Kreativen’ nutzt, oder viel mehr der Industrie.

Alles in allem lässt sich allerdings feststellen, dass die Diskussion nach wie vor sehr eng an dem Produkt, bzw. dem Äquivalent eines Produktes bleibt. Das Internet selbst bleibt als Technik, als Mechanismus im Hintergrund. Dabei ist das Internet selbst das beste Beispiel dafür, dass Distribution auf der digitalen, vernetzten Ebene sich nur sekundär mit den Inhalten beschäftigt, die es zu distribuieren gilt. Viel zentraler, weil dem Prozess der Distribution vorangestellt, ist die Frage der Schnittstellen zwischen den einzelnen Geräten, die am Netz hängen.

Am einfachsten lässt sich dies wieder mit Musik erklären. Um Musik aus dem Internet zu hören, benötige ich eine Software, die mir diese Files vorspielt. Weit verbreitet sind zum Beispiel WinAmp, der Real Player, Quicktime, oder die ‚Medienwidergabe’ von Windows. Um mit solchen Playern einen Markt erobern zu können, ist in der Regel eines wichtig, nämlich frei verfügbar zu sein und - wichtiger noch - so viele bestehende Formate wie möglich abspielen zu können. Solche Formate sind entweder selbst im Besitz von Entwicklern (wie z.B. Real Media) oder Drittanbietern (wie z.B. MP3) oder auch offen und frei verfügbar (wie z.B. Ogg).

Ein Player ist demzufolge nicht viel mehr, als eine leere Hülle, in die viele verschiedene Formate geladen werden können. Die Übersetzung von solchen Formaten in Klang, also eine akustische Wiedergabe erfolgt mit Codecs: kleinen, mathematischen Routinen, die grosse Files in kleine komprimieren, und am anderen Ende dafür sorgen, dass ein Sound aus den Daten wird.

Dass es sich bei Playern wirklich um wenig mehr als einen leeren Rahmen handelt wird noch durch den Trend der ‚skins’ verträrkt, mittels der sich die Userin den Player quasi nach belieben aussehen lassen kann. Auch wie einen anderen Player. Warum auch nicht.

Da Codecs völlig unabhängig von vielen Playern entwickelt werden, ist es für die Entwickler der Player essentiell genaue Angaben über das Interface zu machen, dass es dem Codec ermöglicht mit der Steuerung des Players zu kommunizieren. Hier werden Daten ausgetauscht. Und um den Austausch mit möglich vielen Formaten zu ermöglichen, müssen Standards festgelegt werden, was in einzelne Plug-Ins hinein geht und was wieder herauskommen muss. Sind diese Standards gut definiert, dann nutzt dies beiden: der Player verbreitet sich, weil er viele Formate unterstützt und ein neuer Codec etabliert sich einfacher, wenn ein verbreiteter Player das Format unterstützen kann. Punkt.

Diese Form einer Distribution von modularen Elementen unterscheidet sich grundlegend von den Denkansätzen wie sie weiter oben beschrieben wurden. Dort geht es um isolierte und abgeschlossene Produkte, die vertrieben werden. Hier geht es um Schnittstellen und die offene Distribution der Standards, die diese Schnittstellen nutzbar machen.

Wie sehr sich diese Distribution der Schnittstellen durchsetzt, zeigt sich exemplarisch in der Linux-Gemeinde. Viele Entwicklungen für das Betriebssystem Linux sind in ihrer Struktur als Open Source Projekte angelegt. Das heisst, dass jede Programmiererin nicht nur das fertige Produkt, sondern auch das Eingemachte, also den Quellcode der Software einsehen kann. In solchen Fällen ist es klar, dass die Standards der Schnittstellen für Entwickler offen liegen.

Ein erfolgreiches Beispiel dieser Vorgehensweise ist die Webserver-Software Apache, deren Unterstützung von Modulen dazu führte, dass es inzwischen unzählige Apache-Module gibt, die wiederum frei verfügbar sind. Dabei geht es um die Verknüpfung von Internetseiten mit verschiedensten Leistungen, wie z.B. Datenbanken oder Programmiersprachen. Konsequent weitergedacht können sich nun wiederum andere Entwickler die Standards von Apache nutzen, um auf die Module zurückgreifen zu können. Dabei muss es sich dann nicht mehr um Server-Software handeln, alles mögliche wäre denkbar.

Wie gross der Erfolg der Distribution von Schnittstellen und damit der Druck auf konventionelle Konzepte von Eigentum und Produkten ist, zeigt sich momentan z.B. im Trend von Drucker-Anbietern, ihre Gerätetreiber offenzulegen. Das heisst nicht viel mehr, als dass die Angst vor anderen Entwicklern, sie könnten die Ideen die in den Maschinen stecken klauen, geringer ist, als die Angst nicht einbezogen zu werden in die Gemeinde von Entwicklern, die modular arbeiten und auf die Offenlegung von Schnittstellen angewiesen sind um ihre eigenen Produkte effizient in ein Netzwerk aus Produkten einbinden zu können.

Distribution macht einen Wandel durch. Nach wie vor werden Inhalte über das Internet vertrieben, angeboten und getauscht. Aber einen Schritt vor dem Produkt ist die Schnittstelle mittels derer das Produkt zugänglich gemacht wird. Und die offene Verfügbarkeit und Distribution dieser Schnittstellen scheint der eigentliche Moment zu sein, der die Zwischenräume ausfüllt und einzelne Produkten zu einen modularen Mechanismus verschaltet. Während die Diskussion um den Besitz von intellektuellem Eigentum anhält, ist es wichtig sicherzustellen, dass zumindest die Zwischenräume keine Besitzer haben.