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Kito Nedo & Micz Flor | Neue Review | 2006

Berlin. Ende November. Der graue Himmel reißt auf. Ein perfekter Tag. Um 15:00 Uhr werden wir in der Fasanenstraße sein: Auktion Nr. 132 der Villa Grisebach Auktionen GmbH, Schätzwerte bis 3.000 Euro.

Treffpunkt Sankt Oberholz. Besprechung. Die ehemalige Burger King Filiale am Rosenthaler Platz hat sich seit ihrer Wiedereröffnung vor ein paar Monaten zum Laptop-Hot-Spot (Passwort am Tresen) und Handy-Showroom Nummer Eins entwickelt. Doch wir müssen: Raus aus dem WLAN. Nach Westberlin. Durch die Mitte, hinein in den Alltag der Metropole. Urlaub von uns selbst. Auf dem Weg zur S-Bahn durch die Sophie-Gips-Höfe schauen wir bei Contemporary Fine Arts rein: Chris Ofilis neue Skulpturen und Bilder. Wir sehen zwei spektakuläre, überlebensgroße Bronzefiguren (Blue Moon und Silver Moon - beide 2005) mit spiegelglattpolierten Hinterteilen beim Scheißen. “Sie weisen mit ihrem Geschäft auf die irdische Verwurzeltheit des Menschen auch im Angesicht des größten himmlischen Geschehens hin.” (Tagesspiegel)

Am Hackeschen Markt - noch nicht einsteigen. Wir entscheiden uns für die Lumas Galerie Filiale in der Oranienburger Straße und damit zunächst gegen den Kurfürstendamm. Mit dem coffee-to-go betreten wir das walk-in-depot im Hinterhof. Saubere Ausstellung, gerahmte Fotografie leger in Regalen sortiert. “Das gibt es auch ungerahmt für zweihundert neununddreißig.” (Personal). Highlights: Frank Stöckels Hirsche im Zwielicht (Eckholt, ab 179 Euro), Billy & Hells Portraits (ab 439 Euro) und Julia Christie (White Sands, ab 159 Euro). Passend für den Gabentisch: Marc Volks Berlin Panorama (269 Euro).

S-Bahn bis Savignyplatz, zum Bücherbogen, vorbei an den elegant über Stühlen drapierten Decken eines Cafes, die auch jetzt noch zum Verweilen im Freien einladen. Im Laden ziehen wir die Neue Review aus der zweiten Reihe der Magazine nach vorn. Da steht sie nun neben den Neuerscheinungen im Schaufenster, zwischen Sieverding und Rundlederwelten. Wir verlassen das Geschäft nicht mit leeren Händen, denn engagiertes Personal gibt uns ein Hatje Verlagsprospekt (60 Jahre) und die kostenlose Kunstzeitung mit. Es bleibt noch Zeit für die Kunstbuchhandlung Galerie 2000 am Ende der Knesebeckstraße. Alles bestens sortiert. Der anschließende Umweg durch die Passage lohnt. Wir sind in Westberlin.

Trotzdem erscheinen wir zu früh in der Villa Grisebach Auktion GmbH. Der Katalog Nr. 132 gibt einen alphabetischen Überblick von Ernst Barlach, Wem Zeit Wie Ewigkeit (1916, Lithographie, 29,3 x 21,3 cm. 700-900 Euro) bis Ossip Zadkine. Le Poète (1967, Farblithographie, 60,4 x 42 cm. 500-600 Euro). Die Stühle neben dem offenen Kamin sind besetzt. Wir kommen später wieder.

Die gewonnene Zeit nutzen wir mit einem oft verschobenen, doch jetzt zwingenden Besuch der Paris Bar. Denn die “Paris Bar ist pleite” berichtet n-tv aus dem Berliner Kiez. “Wir haben am Montag Insolvenz angemeldet” zitiert die BZ Reinald Nohal “(67)”, der gemeinsam mit Michel Würthle “(62)” das Restaurant seit 1979 führt. Verschwindet das Edelrestaurant, vor dem sich Udo Lindenberg einst seine Limousine klauen ließ? Verliert Otto Sander seinen Stammplatz? Und was passiert mit den Kunstwerken der Paris Bar? Die F.A.Z. titelt: “Der Sieg der Neuen Mitte” und weiß: “im Berliner Westen ist die Welt eben schon länger nicht mehr zu Hause”. Während wir aus dem Menü auswählen bemerken wir, dass die “Neue Mitte” durchaus die Paris Bar besucht. Der Satz am Nachbartisch: “Ich kann doch nicht mit 28jährigen um ’ne Tischtennisplatte herumrennen, um jemanden kennen zu lernen.” gehört nicht in die Kantstraße, sondern ist mit der U2 aus der Eberswalderstraße hier angekommen. Das Essen ist vorzüglich und keine “Zumutung” (Spiegel Online). Vom anderen Nachbartisch informiert uns ein älterer Sammler, dass die Grisebach-Auktion schon laufe, er aber nichts gekauft habe. Interessant sei es allemal.

In der Villa Grisebach verteilen sich die Bietenden auf drei Stockwerken. Wer keinen Platz mehr im Auktionsraum findet, sammelt sich in der Nähe der Videomonitore. Überall befinden sich Telefone und Kameras. Die meisten Arbeiten bleiben wie angekündigt unter 3.000 Euro (Ernst Barlach, Wem Zeit Wie Ewigkeit: 1.416 Euro und Ossip Zadkine, Le Poète: 885 Euro). Einzige Ausnahme an diesem Tag: Max Klinger, Los Nr. 575, Brahms-Phantasie (1890/94, Original-Mappe mit 18 Blatt (von 41), Provenienz: Heinrich Stinnes, Köln / Ehemals Sammlung Otto Dix, Hemmenhofen). Die Mappe mit Gebrauchsspuren (Schätzwert: 2.500-3.000 Euro) wechselt für 16.520 Euro den/die Besitzer/in.

Wieder in Mitte. Es ist dunkel. In der sympathischen Produzentengalerie Diskus (Brunnenstraße 196, dritter Hinterhof) stellt die Künstlerin Amalia Barboza (Buenos Aires/Madrid/Dresden) aus. Sie “setzt sich seit mehreren Jahren, unter Verwendung verschiedener Medien, mit der Gestaltung und Einrichtung von öffentlichen und privaten Räumen auseinander” (gelungen: www.diskus-berlin.de). Sehr schön ist die Hochhaus-Balkon-Scherenschnitt- Installation (Hochhaus, 2005).

Die junge Fotogalerie Amerika zeigt Kerstin Flake und Stefan Fischer. Fischers Urlaub von zu Hause zeichnet ein schemenhaftes Leipzig. “Mal milderes, mal kontrastreicheres Gegenlicht blendet den Betrachter.” (www.amerika-berlin.de). Kerstin Flake erfasst in Golden Room “Raumausschnitte aus der Froschperspektive”. Doch das sagt viel zu wenig über eine erregende Fotoarbeit.