Ganzseitige Anzeige (II)
Kito Nedo & Micz Flor | vonhunder-Kolumne | Dezember 2006
Berlin. Anfang Dezember, früher Abend. Dunkel, mild und nieselig. Auf dem Weg zur U-Bahn. An der Chausseestraße gibt es nun ein Gemüsegeschäft weniger, dafür eine Focacceria mehr. Das wäre nicht nötig gewesen, unser Plan stand sowieso schon fest: schnell raus aus Mitte. Wohin? Klar: Traumstadt Westberlin. Diesmal nehmen wir den Hintereingang. Treffpunkt Wedding, Ringbahn. Im Zug hören wir auf, über Beziehungen, Geld und Immobilien zu reden, empfehlen uns auch keine Rechtsanwälte, Steuerberater oder Grafikdesigner mehr. Wir wollen nur noch Kunst sehen. Wenige Minuten später schon stehen wir – wie eigentlich immer – fasziniert vor dem ICC, dessen metallische Hülle kaltes Licht in die Berliner Nacht reflektiert. Doch der technofuturistische Messepalast ist heute nicht unser Ziel. Also weiter!
Nach einer kurzen Runde um den Charlottenburger Lietzensee finden wir uns in den Räumen der Galerie Aurel Scheibler, die hier im Erdgeschoss eines vornehmen Bürgerhauses ihr Domizil bezogen hat. Wir sind beinahe die ersten Besucher und genießen die freie Sicht auf die Arbeiten Jack Piersons, dem amerikanischen Künstler, der uns auch schon in Klaus Biesenbachs Körperschau “Into me/Out of me” (kw) aufgefallen war. Die Galerie ist sehr aufgeräumt, was Piersons Kunst etwas verruchter aussehen lässt, als sie andernorts wirken würde. Überwiegend sind Stücke aus den frühen Achtzigern und den Neunzigern zu sehen: Fotografien, Zeichnungen, Installationen und Objekte – darunter viele Sammler-Leihgaben, wie etwa die beiden Tafeln “Breakfast, Hope, Dinner, Fear, 1982”, die Wandarbeit “I (cracked), 1990” oder der Läufer “1984” über welchen wir zunächst ahnungslos beim Betreten der Galerie gingen. Viele der Objekte und Bilder sprechen von Verlassenheit und Restwärme. Auf der Skulptur “Black Jackie, 19912006”, die einer kleinen Bühne ähnelt, liegen ein paar Zigarettenstummel und ein leerer Plastikbecher. Man soll das lamettaumkränzte Podest betreten dürfen und nach dem Willen des Künstlers sogar darauf tanzen, erklärt uns eine ältere Sammlerin. Doch niemand tut dies, jedenfalls für die Dauer unseres Aufenthalts, auch wir nicht. Stattdessen streunen wir durch die Räume: Im Leseraum der Galerie finden wir ein superb eingepasstes Wandregal, dass eine leicht geschwungene Wand bekleidet. Darin drapiert die richtigen Einladungskarten neben kuriosen Figuren aus dem Kolonialwarenhandel oder dem gut sortierten Asialaden. Und natürlich Kataloge, Kataloge, Kataloge. Auf Augenhöhe von links eine umfassende Sammlung von Schriften zu E.W. Nay – der Name soll uns am nächsten Tag wieder in der Villa Grisebach begegnen (Losnummern 993 bis 996). Wir drehen uns um und finden den Jubiläumskatalog des Auktionshauses prominent auf dem Arbeitstisch: “Zwanzig Jahre Kunst und Kennerschaft.” Als wir die titellose Pierson-Zeichnung “(Joint), 2004” bestaunen, empfiehlt uns die Sammlerin endlich den Besuch der Galerie NEU in Mitte, wo der Künstler mit seinem Kollegen Tom Burr am selben Abend eine gemeinsame Präsentation eröffnet. Gesagt, getan.
Bei NEU mischen wir uns unter das übliche Volk: Kollege Raimar Stange wirft uns einen aufmunternden Blick zu, bevor er sich wieder in das Gespräch mit einer wichtigen Kuratorin vertieft, der Dichter Ulrich Ulrichson sitzt wie die Ruhe selbst inmitten des tosenden Vernissagen-Rummels, von der Theke nehmen wir uns eine kleine, edel gestaltete, anlässlich der Ausstellung erschienene Broschüre mit, die den E-Mail-Verkehr zwischen Burr und Pierson im Vorfeld des Projekts dokumentiert. Noch bevor wir anfangen uns wohl zu fühlen, machen wir uns in Richtung Johann König am Potsdamer Platz auf, wo Arbeiten der kalifornischen Künstlerin Lisa Lapinski zu sehen sind. Die Ausstellungshalle wird hier von einer großen Schubladen-Konstruktion dominiert, die in ihrer dezenten braunfurnierten Schrankwandhaftigkeit an die nahe Weihnachtstour ins elterliche Heim erinnert. Wie zu Hause sind auch hier kleine neckische Edelkitsch-Objekte verteilt, wie etwa eine grazile, weiße Porzellan-Hand, die man so auch aus Schaufenstern von B-Juwelieren zu kennen meint. Auf der Raucher-Rampe vor der Galerie lernen wir eine Gruppe von jungen Künstlern und Künstlerinnen kennen, die mehrheitlich behaupten, noch nie bei der Kreuzberger Institution Laura Mars Grp. gewesen zu sein, obwohl es diese Galerie doch genau heute schon seit fünf langen Jahren gibt. Wir nehmen sie mit.
In der Sorauer Straße angekommen, kämpfen wir uns durch die Menschenmassen in das Büro der Galeristin vor, um auf der Bank von Pjotr Nathan ein wenig zu verschnaufen. Bald schon gesellt sich ein junger Mann zu uns, der Stein und Bein schwört, in unserer Kolumne zu leben. Von ihm werden wir im weiteren Verlauf des Abends wertvolle Tipps erhalten. Gundula Schmitz gibt uns einen kleinen Flyer für die Party am späteren Abend in Daniel Pflumms Studio. Hunger treibt uns tiefer in den Wrangelkiez, Köfte im Brot. Inzwischen ist das Eckrestaurant Gino in der Wrangelstraße zum temporären Auffangbecken der Laura Mars-Crowd geworden. Drinnen ist es behaglich und doch von heute. Witzig: “Es muss nicht immer Kaviar sein” – der Simmel steht lesebereit neben Brettspielen. Ober: “I tät dir jetzt einfach ein Glass helles Tegernseer hinstellen. Und wenn nicht, trink ich’s.”
Die Zeit drängt, Pflumms Studio am Flutgraben noch zwanzig Minuten zu Fuß. Deshalb gedulden wir uns nicht mehr auf die Pointe des endgültigen Witzes über den Kommunismus. Lenin, Stalin und Chruschtschow kamen schon zu Wort, aber: “Was der Breschnew gesagt hat, das fällt mir jetzt halt nicht mehr ein.” Also weiter durch den Wrangelkietz, Mysliwskas sechzehnten Geburtstag lassen wir links liegen. Schon vorbei. Ein Kneipenjahr sind sieben Menschenjahre, gefühltes Alter. Und am Flutgraben erklimmen wir das Innere des Backsteinquaders. “Treppe hoch geradeaus Treppe hoch geradeaus” steht auf dem Flyer. Jemand sagt: “Wie das Elektro.” Ob Pflumm das selber so sieht, wissen wir nicht. Als wir ihn fragen wollten, war er schon auf der After-Opening-Party von NEU-Scheibler irgendwo auf der Köpenicker Straße. Wir folgen.
Richtig gemacht. Der Mensch, der am frühen Abend in unsere Kolumne einzog, wusste: “Also ausgehmäßig natürlich zuerst Throbbing Fricke und dann Eric D. Clark.” – und behielt Recht. Nicht zu leise, nicht zu laut, gute Laune auf hohem Niveau, anspruchsvoller House, minimal serviert. Ein gelungenes Paket, in dem nur einen Moment lang der Schröder von NEU stört, wie er neben dem dj-Deck versucht zu telefonieren. Ihm sei vergeben. Wir erreichen Mitte zu Fuß, glücklich und wenn nicht bald Weihnachten wäre, dann wäre es schon wieder hell.
Samstag. Wir treffen uns im St. Oberholz, bereit für Schätzwerte bis 3.000 Euro bei Grisebach. Am frühen Nachmittag finden wir uns jetzt ausschließlich zwischen Apple und iPods. Gerne waren wir hier letztes Jahr, aber spätestens seit der WM ist das St. Oberholz passgenau um seine urbane, verpennte und doch erfolgreiche, globalisierte Monokultur zusammengeschrumpft. Bleibt zu hoffen: das Leben ist woanders – also “ab nach Berlin”.
Endlich Grisebach. Wir geben unsere Mäntel ab, hier ist es warm. Das offene Kaminfeuer brennt, als seien wir nie weg gewesen. Davor, als gäbe es hier Asche aufzuhalten, die gleichen Kacheln des Berlins der 1900er Jahre, die wir Tags zuvor bei Scheibler im Leseraum registrierten. Man trifft sich. Und einzige Erinnerung an den missglückten Start im St. Oberholz sind die drei Apple-Laptops des Auktionators und seiner beiden Beisitzerinnen. Struktur heute: Zuerst Kunst vor, dann nach 1945. Zum ersten Block ist die Halle voll und wir ziehen uns zu Orangensaft und Filterkaffee in einen der Zuschauerräume zurück. Monitore, in denen der Zeremonienmeister in einer kreisrunden Einblendung neben den Kunstwerken zu sehen ist, die helfende Handschuhhände für das Publikum hochhalten. Das Publikum weiß, was es will: nicht alle großen Namen finden Gebote und schön ist, was gefällt. Auf die sicheren Lose wurden schon im Vorfeld schriftliche Gebote abgegeben. Der Auktionator ist dann dabei – “Ist noch bei mir” – bis das Fieber im Raum die Preise treibt – “Ich bin weg.”
Die Zeit vergeht im Flug und schon ist es “nach 1945”. Wir finden endlich Platz im Auktionssaal, rechtzeitig zum heißen Baselitz-Bieterstreit (Georg Baselitz, Eugen Schönebeck “Pandämonium II – Manifest”, 1962; 5.310Euro), nachdem wir ohne große Hoffnung im Zuschauerraum aufbrachen, als eine Arbeit von Franz Ackermann kein Gebot fand – “Dann geht das zurück”. Erstaunlich präsent die Abo-Multiples von Texte zur Kunst (TZK). Der Kunstmarkt funktioniert also auch ungeschminkt. Das Soli-Paket sortiert von teuer (1.180 Euro) nach preiswert (354 Euro): Thomas Demand, Luc Tuymans, Daniel Richter, Sylvie Fleury, Günther Förg, Jonathan Meese, Alex Katz, Liam Gillick, Maria Lassnig, Thomas Ruff. Ohne Gebot: Franz Ackermann und Albert Oehlen. Schwergewicht Gerhard Richter: “Mao” (1968) bleibt zweiter im Bieterstreit mit 8.850 Euro. Erstaunlich: teuerste Arbeit der Schätzwerte unter 3000 Euro: Karl Hubbuch: “Emil R und Lina R.” (um 1930) für 11.210 Euro [Losnummer 666!]. Nach dem erfüllten Nachmittag in einer Bingo-Halle mit Sekt statt Selters, brechen wir auf zur Paris Bar auf der Kantstraße.