Ganzseitige Anzeige (III)
Kito Nedo & Micz Flor | vonhunder-Kolumne | März 2007
Berlin. Anfang März. Wir wollen uns gerade Notizen machen, da fängt es an zu regnen. Torstraße. Höhe Toca Rouge. Als hier noch ein Dönerladen war, trauten wir uns nicht hinein wegen des Essens. Als es ein Casual Pan-Asian Diner wurde, wegen der Leute. Zu schick, zu Mitte. Seit Maxim Biller jedoch in der Zitty das Rindfleisch lobte und Mark Gisbourne sich hier mit Norbert Bisky für das Lufthansa-Bordmagazin ablichten ließ, sind alle Barrieren gefallen. Heute treibt es uns aber vorwärts, Richtung Rosenthaler Platz. In der ProduzentengalerieS tedefreund um die Ecke stellen die beiden Künstlerinnen Astrid Busch und Kerstin Gottschalk aus.
Das Interesse des Publikums ist groß: Gerade widmete das Magazin artinvestor dem Potential der Artist Spaces in der Gegend einen ganzen Artikel. Wir bestaunen mit Sammlern und Künstlern die filmstillartigen Fotografien von Busch und die monochrom-minimalistischen Collagen Gottschalks. Weiter geht es zur Galerie Olaf Stüber, wo Stefan Panhans neue Arbeiten präsentiert. Vom ersten Ausstellungsraum mit den Fotografien führt eine kleine, brusthohe Tür in die Projektion von “Glow” (2006). Auf einem Trainingsgerät schindet sich die Schauspielerin Lisa Marie Janke wie in einem Ego-Shooter.
Dann zu Renée Green bei Christian Nagel. Auf einer langen Tischreihe stehen kleine Monitore und Kopfhörer bereit. Wir mischen uns unter das übliche Volk: Kollege Raimar Stange wirft uns einen aufmunternden Blick zu, bevor er sich wieder in das Gespräch mit einer wichtigen Kuratorin vertieft. Markus Wirthmann streut die große Neuigkeit: “Kunst-Blog” (kb), die Plattform für Kunstkritik nimmt am Prix Ars Electronica teil. Nebenan steht die versammelte Redaktion von “Texte zur Kunst” (tzk). Kleine Zettelchen gehen von Hand zu Hand: Bonfini – das nächstgelegene italienische Restaurant. Auf einem anderen Zettel steht: “Die Suppen waren prinzipiell alle sehr gut, aber die von KW war etwas besser.” Wirthmann zieht weiter zum Pampero Appartment. Wir beenden den Abend im Voss, einer stickigen Bar am Rosa-Luxemburg-Platz.
Kreuzberg, Samstagmorgen, der Himmel reißt auf. Auf der Hauptversammlung der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (ngbk) diskutieren Aufsichtspersonal und Aufsichtsrat auf Augenhöhe. Nach einem langen Tag der Meinungsfindung – Abstimmung gegen Meinungsbild, Abstimmung für Abstimmung, anschließende Diskussion über Ergebnis der Abstimmung – steht der Plan für 2008. Zurück nach Mitte, zu Mehdi Chouakri. Durch den Raum, vorbei an den Neonlicht-Arbeiten gehen wir nach hinten, wo alle Leute sind. Isabell Heimerdinger zeigt noch einmal Love Film. Es geht um gespielte Nähe und die Nähe die daraus entsteht. Es geht um Sex. Wir sehen die letzten fünf Minuten des Loops. Und dann noch mal alle zehn.
Ab in den Wedding. Die Galerie Guido W. Baudach ist sehr groß. Die neuen Friedens-Siemense von André Butzer sind sehr groß. Sie hängen an den Wänden und fragen uns, ob wir sie sehen. Fünf Jahre ist es her, dass sie aus der Population der Schande- und H-Menschen hervorgingen, um einen Schädelstaat zu errichten. Wie die Zeit vergeht. Treppe runter, Treppe rauf. Nebenan das Cluster. Hier ist es kleiner. Birthe Zimmermanns Arbeiten hängen an den Wänden und fragen uns, ob wir sie verstehen. Die Pressemitteilung weiß: “Die ständige, modellhaft und nacheinander erfolgte Neukombination der bildbestimmenden Formen, die keiner logischen Ordnung folgt, lässt Spannung entstehen und verführt uns zum genauen Hinsehen.” Objekte wie Bausteine oder Bücher scheinen ins schwarze Nichts herabzustürzen.
Und wieder Mitte. Ein arabischer Schnellimbiss in der Brunnenstraße kassiert unseren Zeitplan. Als wir die Produzentengalerie Diskus (Gruppenausstellung “Open End”) erreichen, stehen wir vor verschlossenen Türen. Rosenthaler – Tram – Eberswalder. Augenblicke später. Wir treffen einen jungen Mann, Black Music DJ, der eine schwere Plattentasche trägt. Techno und Hip Hop. Er glaubt es kaum: “Wenn ihr über dieses Wochenende schreibt, wisst ihr ja, wo ihr gestern hättet sein müssen: Filiale, Pampero, Helsinki.” Dann ist er weg und wir weiter zum Ballhaus Ost, Vernissage der Ausstellung “Oligarchie und Grundgesetz” mit Bildern der Malerinnen Heike Kelter und Hanna Marie Blencke. Der Raum ist voll und wir in Gespräche verwickelt, bevor wir überhaupt die Wände zu sehen bekommen. Auf die Frage “How do you like it?” bleiben wir stumm, doch Ben Cottrell bestärkt: “Just say what you feel.” Der Versuch scheitert und wir kollabieren nach einem Glas Wein mit der Künstlerin Julia Lazarus unter tiefroten Gemälden. Das letzte was wir hören: “Ich war ja noch nie da, aber so stelle ich mir Second Life vor.”