Ganzseitige Anzeige (III)
Kito Nedo & Micz Flor | vonhunder-Kolumne | Juli 2007
Berlin. Ende Mai, früher Abend. Drückende Schwüle liegt über der Stadt. Wir sind auf dem Weg zur Jannowitzbrücke. Aus den gruftigen Tiefen des Alexa-Rohbaus weht es kalt herauf. “Wart Ihr schon bei Jeff Wall?” Nein. Zu spät. Für Mark Wallinger bei Carlier/Gebauer sind wir zu früh. Knapp eine Woche. Kurzer Moment der Furcht: Wo beginnt unser Text? Die Galeriemitarbeiter/innen in Feierabendlaune zucken mit den Schultern. Ulrich Gebauer wird uns am nächsten Tag in den Kunst-Werken (kw) aufklären: der Index habe den Termin falsch heraus gegeben.
Plötzlich Gewitter. Schwarzgrauer Himmel. Sturm. Regen. Sturzbäche. Bäume knicken um, Autos fahren mit Warnblinker an den Straßenrand. Wir retten uns um die Ecke und beobachten das Unwetter bei zwei Corona im klimatisierten Aral-Bistro. Dem Sturm fällt auch unsere nächste Station zum Opfer. Künstlerin Ulrike Feser empfahl Mönchfiguren aus Aluminiumfolie am Rosa-Luxemburg-Platz. Wo genau? “Lauft einfach einmal um die Volksbühne herum.” Doch wir verlassen die S-Bahn nicht mehr. Friedrichstraße. Hier feiert “Die Zeit” ihr wiederbelebtes Magazin mit einer lockeren Redaktionsfeier auf der Hauptstadtbüro-Dachterrasse. Schon im Fahrstuhl erfahren wir, was uns wirklich interessiert: eine Ganzseitige Anzeige in “Leben” kostet 19.900 Euro. Da ist noch Potenzial. Oben angekommen, finden wir eine ausgehungerte Stehparty vor. “Es gibt Champagner” sagt einer der Redakteure fast schon entschuldigend, während wir auf der Terrasse stehen und Kette rauchen wie Helmut Schmidt. Giovanni Di Lorenzo beginnt seine Teamspirit-Rede. Während wir dem Chefredakteur zuhören, ruht unser Blick auf dem Werbemotiv der Wiedereinführungskampagne, wo neben Schmidt, der “Leitfigur für Intellekt und Weitsicht” ein namenloses weibliches Model “Konsum, Lebensfreude und Leichtigkeit symbolisiert.” Mit den schweren Wolken verziehen auch wir uns in Richtung Charité zum Hamburger Bahnhof.
In der großen Halle des Museum für Gegenwart findet die letzte Generalprobe mit dem Berliner Rundfunkchor für das Pfingstfestspiel statt. Frömmigkeit füllt den Raum. Wir lernen: Man braucht nur sehr wenig, um ein zeitgenössisches Museum in einen Kirchentags-Pit zu verwandeln. Große Müdigkeit befällt uns. Wo beginnt unser Text?
Samstagmittag, Hitze: Hotel Bogata, Schlüterstraße, Westberlin. Versteigerung fotografischer Arbeiten ab ca. 200 Euro. Der Katalog kostet sieben Euro. “Unterstützen Sie ein junges, aufstrebendes Unternehmen!” appelliert die Dame vom Auktionshaus Altenburg am Eingang freundlich.
Trotz der hohen Temperaturen bleibt das Auktionspublikum cool. Lediglich die Dame mit der Nummer 91 ersteigert gezielt ein paar Schnäppchen. Doch der Auktionator will mehr: “Das sind elf Fotografien, macht pro Foto quasi 35 Euro!” preist er eine Mappe an. Nützt alles nichts. Selbst Promiportraits ziehen nicht. “Keine Hildegard Kneef Fans hier?”(Werner Eckelt, um 1959) “Keine Stones Fans hier?” (Axel Benzmann, 1970). Auch Willy Brandt und Familie gehen in den Nachverkauf (Max Jacoby, 1961). Ebenso die “Hippies von 1977” (Thomas Höpker, 1977). “Friedliche Blumenkinder, das waren noch Zeiten”, erinnert sich der Auktionator.
Anschließend nehmen wir den Fahrstuhl in den vierten Stock. Hier betrieb in den 1930er Jahren die Modefotografin YVA ihr legendäres Studio. Berühmtester Lehrling: Helmut Newton. Charlottenburg ist schön: Bücherbogen. Paris-Bar. Ein junges Pärchen fragt nach Arbeiten von Kippenberger. Die hängen wie immer über uns. Wir sind schon beim Kaffee, als der Hagelschauer beginnt. Ein Wetter von ganz woanders. Hemingway. Wir folgen der Feuerwehr von Charlottenburg nach Mitte.
Zu Fuß von Station Stadtmitte: coma – von Lutz Dammbeck professionell eingerichtet (“Re-Reeducation”, 2007). Ein Hauch von Museum. Historische Dokumente aus Zeiten des wilden Behaviorismus spekulieren auf eine bessere Zukunft. So viel Energie, Vision und Unsinn. Das ist Wissenschaft: langweilig wird sie nie. Und so stehen wir wie hypnotisiert um eine Arbeit aus Maschine und Mäusen und beobachten das Scheitern der Technik und den Triumph der Nager.
Weiter zu Joe Colemans “Internal Digging” in den kw. Im Subparterre des Ausstellungszentrums an der Auguststraße schleichen wir durch eine Wagenburg des Grauens. Amerika: ein Keller voller Leichen. In den Wagen: Vitrinen, Fotografien, medizinische Wachspräparate und lebensgroße Puppen in Wild Wild West Kleidung. In den oberen Etagen hängen viele, vielleicht zu viele Bilder des Künstlers. Vergeblich sucht man nach Entwicklung in den detailschwangeren Ikonen des moralisch Chronisten der dunklen Seite Amerikas.
Im Hof hat sich unterdessen die Haute-Volée des Berliner Kunstbetriebs versammelt. Unerkannt läuft Bruno S. – der “unbekannte Soldat des deutschen Films” – durch das junge Vernissagenpublikum. Wir lassen uns nicht festhalten, sondern gehen weiter zum Glaspavillon der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Dort organisiert das engagierte Institut (ehem. Romantic Institute) jede Woche eine Veranstaltung. Diesmal zeigt Gunter Reski unter dem Titel “Drei Pfützen mit Deckel” eine Reihe von DIN-A4 Bildern plus einer größeren Wandarbeit. Vor dem Institut finden wir uns in die erstaunlichsten Gespräche verwickelt: wegen der schwerelosen Physik des Staubs ist die Architektur im Hinblick auf prekäre Putzhilfen gefordert, erfahren wir beispielsweise von einer Architektin. Man kann nicht alles wissen. Auch von dem neuen Magazin “Matrose”, herausgegeben von Megan Sullivan, Francesca Lacatena und Nadira Husain hören wir an diesem Abend zum ersten Mal.
Schließlich trifft auch der Londoner Besuch aus dem Hebbel Theater vor der Volksbühne ein. Vom Summit zum Opening. Von Kreuzberg nach Mitte. Langsam setzen wir uns wieder in Richtung kw in Bewegung, wo im kleinen Keller ein Bar/Club-Event der besonderen Art zum Coleman Opening versprochen war. Doch letztlich erwies sich das Hackbarth’s als die elegantere Variante zum Ende des Abends. Dort prophezeien die englischen Summit-Beobachter die bevorstehende einseitige Aufkündigung des Generationsvertrages der Grassroots Activists durch die junge Generation: “Enough of the nitty-gritty. Where is the committee?” Rio schließt. Picknick kommt.