Jetzt kommt Cluster!

Das „Ausland“ feiert fünfjähriges Jubiläum. Für Berlins unabhängige Kulturveranstalter hat man sich zu diesem Anlass das Projekt „Sub-Culture-Mall“ ausgedacht: Wenn schon Gentrification, dann richtig

Andreas Schlaegel & Micz Flor | taz - die tageszeitung | 15. Dez 2007

Thomas Bernhard weiß: „Aus allen, die ins Ausland gingen, ist etwas geworden.“ So zitiert die Netzseite des gleichnamigen Raums für Kunst, Musik und Theorie „Ausland“. Und wenn es nach den Veranstaltern ginge, dürften das gerne noch ein paar mehr sein. Nach fünf Jahren blickt das „Ausland“ zurück auf 1.500 Tage Betrieb mit 700 oft erstklassigen Veranstaltungen. 70.000 Euro hat der Umbau der Räumlichkeiten damals gekostet, 35.000 Euro hatte das Quartiersmanagement übernommen, 8.000 waren private Spenden. Blieb noch ein Darlehen von 27.000 Euro, dass die Betreibergruppe sich selbst gab. Und obwohl dieser Schuldenberg mittlerweile auf 6.000 Euro geschrumpft ist, weiß man nicht so richtig, wie es weiter gehen soll – nur, dass es weiter gehen muss.

Das „Ausland“ hat im Keller des Hausprojekts Lychener 60 gute Mietkonditionen, trotzdem zehrt auch hier der Prozess, der viele Kulturinitiativen in Mitte und Prenzlauer Berg in ihrer Existenz bedrängt: Die Zahl der Fachgeschäfte für Biowaren und Holzspielzeug nimmt beständig zu, die Orte, die den Kiez einst so „sexy“ gemacht haben, bleiben ohne Publikum. Armes Berlin.

Es verwundert nicht, dass die Betreiber des „Auslands“, die am Dienstag zu einer Pressekonferenz einluden, ihre Kulturtätigkeit mittels anderer Jobs querfinanzieren müssen. Für Elisabeth Enke, Tobias Hassels, Gregor Hotz und Rut Waldeyer bedeutet das, einen Spagat mit ehrenamtlichem Vollzeitjob im Handgepäck zu machen. Aber irgendwann muss ja auch mal Schluss sein mit dem Prekariat. Die Schlussfolgerung ist gleichermaßen simpel wie wahnwitzig und der ehemaligen Hausbesetzer/innen-Szene nur zu vertraut: Teilhabe – doch nicht mehr im Plenum, sondern in der Eigentümerversammlung.

Geplant ist also nun „Cluster, eine Sub-Culture-Mall“, so ist zu hören, in der sich dereinst alle freien Kunst- und Kulturinitiativen vereinen sollen. Diese sollen so zum ersten Mal von dem Prozess profitieren, der in der Stadtentwicklung als Culture Lead Regeneration bekannt ist, in dem Kulturinitiativen (arm) ganze Stadtgebiete aufwerten (sexy), um dann Opfer ihrer eigenen Energie zu werden und dem Druck der hausgemachten Gentrification weichen.

Mit dabei – will man den Veranstalter/innen für einen Moment glauben – sind sie alle, die Initiativen der weiteren Nachbarschaft, die den „Humus der hiesigen Kulturwirtschaft“ bilden, wie man das heutzutage nennt: C-base, Kule, Lichtblick Kino, Dock 11, dense, Neurotitan, visomat, Ballhaus Ost, Maria, Haus Schwarzenberg, TwenFM, bootlab, amstart, bassy, Café Morgenrot, Schokoladen und viele andere mehr. Ganz zeitgemäß erklärt Hassels, dass es sich bei „Cluster“ um eine Mall handeln wird – was er anhand der Alexanderplatzbebauung so erklärt: „weniger Galeria Kaufhof und mehr Alexa. So können Initiativen ihren eigenen Raum in Größe und Aussehen gestalten, und lösen ihre Identität nicht auf“.

Über drei mögliche Standorte denken die Auslandsmanager nach: Ein Fabrikgebäude am Stralauer Platz, ein vielstöckiger Plattenbau ganz in der Nähe und das runde Bahndepot am nördlichen Ende der Prenzlauer Allee. Kontakte zu den anderen Initiativen seien schon aufgenommen worden, auch mit Immobilienmaklern sei man im Gespräch. Waldeyer sieht darin den besten Ausweg aus der Fangfrage: „Wer schließt als nächstes?“ Hassels wiederum spricht von „Partizipation an der Wertsteigerung der Immobilie“.

Bei aller Aufbruchstimmung, die dieses Projekt Größenwahn zu transportieren beabsichtigt, schwingt zwischen den Zeilen eine ganz authentische Trauer über die Realität mit, die sich in den letzten Jahren in Prenzlauer Berg eingestellt hat. Es sind ja wirklich die sozialen Veränderungen in der Gegend, die Orten wie dem „Ausland“ zunehmend das Publikum nehmen.

Früher war das anders, früher waren alle da. Unter dem Namen „Danone“ und auch „Die Zone“ öffneten sich die Türen 1991 zum ersten Mal. Was Manager Hotz als Hausbesetzerkneipe beschreibt, war schnell als „die Lychy 60“ bekannt – in einer Zeit, in der Prenzlauer Berg nördlich der Dimitroffstraße, wie sie damals hieß, weniger aus Locations als vielmehr aus offenen Türen mit Programm und Getränken dahinter bestand. Nach der Schließung 1998 wegen nachbarschaftlichen Drucks und behördlichen Auflagen konnte der Raum mit finanzieller Unterstützung des Quartiersmanagements umgebaut werden und öffnete 2002 als „Ausland“ mit einem ambitionierten Programm – in einem neuen Millennium, fast wie an einem anderen Ort.

Schirmherren und -frauen für „Cluster“ werden noch gesucht. Wäre das nicht was für Wim Wenders, der sich doch schon so medienwirksam für eine ruhigere Torstraße eingesetzt hat, weil ihn der Lärm auf seiner Dachterrasse stört (der RBB berichtete)? Aber kann und wird es überhaupt was werden mit der Mall? Wer sich über den Fortgang des Projekts „Cluster“ informieren will, dem bleibt nur eins: Ab ins „Ausland“.