Hippierevolutionär Sinclair über Rock’n’Roll - Überall vögeln? Gute Idee

John Sinclair war Manager der revolutionären Rockband MC 5 und war einer der Anführer der radikalen Hippies von Detroit. Er liebt Barack Obama dafür, dass er Sex mit Michelle hat.

Ulrich Gutmair & Micz Flor | taz - die tageszeitung | 30. Jan. 2009

taz: Herr Sinclair, Sie haben einst die White Panther Party in Detroit begründet, um als Weißer die Black Panthers zu unterstützen. Was bedeutet Ihnen Barack Obama?

John Sinclair: Das ist wirklich groß. Ich bin sehr, sehr glücklich.

Sie hatten einmal einen Präsidenten, der Marihuana geraucht hat und Oralverkehr im Weißen Haus hatte. Und jetzt haben Sie einen schwarzen Präsidenten.

Ich sage Ihnen noch was ganz anderes: Er und Michelle, sie vögeln im Weißen Haus! Unsere First Lady nennt den Präsidenten “Baby”. In der Wahlnacht hatte ich plötzlich diese Fantasie, dass sie zu ihm sagt: “Baby, wenn wir nach Hause kommen, dann blase ich dir einen. Du wirst keine Monica Lewinskys brauchen.” Ich mag das, das bin ich. Sie fragten ihn: “Haben Sie Hasch geraucht?” Und er sagte: “Ja, ich habe Gras geraucht.” Sie fragten: “Und, haben Sie inhaliert?” Und er sagte: “Ja klar, darum geht es doch wohl.” Obama kommt nicht nur aus dem schwarzen Amerika, er kommt auch von Harvard. Er ist smart, er ist 47 und er hat kleine Kinder. Er kommt aus unserer Welt.

Ihr Bruder hat den entscheidenden Moment in Ihrer Jugend so beschrieben: “Und dann wurde er schwarz.” In welcher Hinsicht sind Sie schwarz geworden?

Auf jede erdenkliche Weise. Ich zog ins Ghetto, ich lebte mit Schwarzen zusammen. Ich lernte großartige Dinge kennen, wie Joints zu rauchen und Muschis zu lecken. Ich hörte schwarze Musik, und das war überhaupt das Größte. Das alles ging weit über das hinaus, was die Leute in meiner Umgebung zu tun imstande waren. Das war ein Teil von Amerika, über den wir nichts wussten, der wegen der Segregation Weißen verborgen war. Ich war also von viel mehr als nur der Musik fasziniert, die ganze schwarze Kultur war ideal für mich. Von 1955 bis 1960 ging ich zu allen Rhythm-&-Blues-Konzerten in Flint, Michigan, wo viele Schwarze lebten.

Wer spielte dort?

Das erste Konzert, zu dem ich ging, war eine der seltenen gemischten Shows. Dort spielten Bill Haley and the Coments, Franky Lymon and the Teenagers. Ich war ungefähr dreizehn. Mein Vater, der mir übrigens jeden Freitag aus der Stadt ein, zwei Singles mit schwarzer Musik mitbrachte, fuhr mich hin und holte mich ab. Ich liebte meinen Vater dafür. Bei den Shows wiederum sah man nicht nur große Künstler, sondern auch das ganze Leben drumherum. Bei uns waren alle Erwachsenen Spießer, mit denen man nichts zu tun haben wollte. Dort waren Erwachsene, aber auch Kids und Großmütter. Und alle tanzten wie wild zu Jackie Wilson oder Ray Charles, zu wirklich guter Musik. Bei uns dagegen wusste kein Mensch, wer Chuck Berry war.

Später, als Sie der Manager der revolutionären Rockband MC 5 waren, lautete einer Ihrer Slogans: “Rock n Roll, Dope und Ficken auf den Straßen”. Warum war das so wichtig?

Ich habe die Idee von Ed Sanders. Seine Zeitschrift hieß Fuck You: A Magazine of the Arts. Ihr Slogan war: “Totaler Angriff auf die Kultur.” Wir adaptierten das. Ich bin ein Adaptierer, müssen Sie wissen. Ich muss keine eigenen Ideen haben. Wenn mir eine Idee gefällt, baue ich sie ein. Rock n Roll war in den Sechzigern ein radikales Element. Das war keine Popmusik. Rock n Roll war abseitig, und ich meine damit den originalen Rock n Roll der Fünfziger, der schon 1959 tot war. Dann gab es nur noch Frankie Valli, Frankie Avalon, Fabian und nicht zu vergessen die Beach Boys, die die Platten von Chuck Berry ausschlachteten. Aber als sich die Leute die Haare lang wachsen ließen, Acid nahmen und Gitarre spielten, war Rock n Roll wieder da. Auch das dauerte nur ein kurze Weile, bis 1972, aber in dieser Zeit war es radikal. Wenn die MC 5 spielten, konnte man darauf warten, bis die Polizei kommt. Die Autoritäten zogen den Stecker manchmal mitten in einem Song. Es war subversiv, laut zu spielen, lange Haare und Levis zu tragen. Wir sprachen von “Dope”, weil man uns als “Dope Fiends”, “Rauschgiftteufel”, bezeichnete. Wir waren stolz darauf, Dope Fiends zu sein. Unser Slogan “Rock n Roll, dope and fucking in the streets” war der ultimative Ausdruck von Antispießertum. Überall vögeln? Gute Idee. Das machen wir.

Sie haben die Kommune Trans Love Energies gegründet, dort wohnten auch die MC 5. Ging es da auch um freie Liebe?

Es war damals nicht vorgesehen, vor der Ehe Sex zu haben. Und wenn, dann erzählte man niemandem darüber. Wir dagegen stellten das stolz zur Schau. Épater le bourgeoisie! Als Organisator und Aktivist sah ich es als meine Aufgabe an, eine klare Demarkationslinie zwischen uns und dem Feind zu ziehen, wie der Große Vorsitzende Mao sagen würde. Wir hatten kein Konzept, die Spießer zu gewinnen. Wir wollten ihren Kindern zeigen, dass es auch anders ging, man konnte auch Spaß haben.

Bevor Sie Aktivist wurden, gründeten Sie den Detroit Artists Workshop, wo sich die Beatniks der Stadt trafen. Sie machten Lyrik. Wie geht das zusammen?

Zuerst war ich DJ, dann Lyriker. Und dann entstand diese Massenbewegung, zu der ich mich zugehörig fühlte. Ich hielt es für meine Pflicht, mich dort als Künstler einzubringen. Am Ende managte ich Bands wie die MC 5, wovon ich keine Ahnung hatte. Aber wir waren auf Acid. Wir waren furchtlos. Wir hatten eine Vision, wie die Welt aussehen sollte. Man würde uns nicht aufhalten können. Ich entwickelte das lächerliche Konzept von Jugend als Klasse. Das war Unfug. Die Jugend ist eine Konsumentenklasse. Als ich vor kurzem den Text vorlas, dachte ich: “Der Typ spinnt.”

Sie sprachen damals viel von der Revolution. War das sozialistisch gemeint?

Zuerst kam die Revolution aus dem Bauch. Später suchte ich nach einem Weg, unser Gefühl mit den revolutionären Standards in Einklang zu bringen. Ich wollte unsere Bewegung mit der Linken fusionieren. Rückblickend halte ich das für die dümmste Idee, die ich je hatte. Wenn wir bei den Hippies geblieben wären, wären wir weitergekommen. Die Linke war langweilig, und sie war zu lahm. Als wir mit den MC 5 von Detroit nach Ann Arbor zogen, formierte sich dort der SDS, Tom Hayden, Bill Ayers, Diana Oughton, all die Leute von den Weathermen waren da. Und sie waren totale Spießer. Unser Konzept dagegen war: Du lebst die Revolution, indem du keinen Job hast, indem du nicht zur Armee gehst, indem du dich dem Normalprogramm entziehst. Das sind Befreiungsschläge, und es war de facto der einzig vernünftige Weg. Es ging um persönliche Transformation.

Es ist heute erstaunlich zu sehen, wie brutal die Staatsmacht gegen Leute vorging, die freizügig leben und eine gute Party haben wollten.

Deswegen hat sich unser politisches Bewusstsein erst entwickelt. Denn wir dachten uns: Wenn das, was wir machten, der Polizei so wichtig war, dann muss es auch wichtig sein. Vor allem ging die Polizei gegen uns vor, weil wir Pot rauchten, die unpolitischste Aktivität, die man sich vorstellen kann. Dann haben wir verstanden, dass es an den Grundfesten ihrer Zivilisation rüttelte, wenn wir so wild waren. Das richtete sich gegen die Disziplin der Arbeiterklasse. Das war auch der Grund, warum wir Ärger mit der Linken hatten. Und die Arbeiterklasse selbst, das waren die größten Spießer von allen.

Disziplin verlangt heute keiner mehr. Spaß zu haben ist die wahre Bürgerpflicht.

Glaubt ihr das wirklich? Die Disziplin besteht darin, sich die neuesten Produkte zu kaufen, egal wie viel sie kosten und wie schrecklich sie auch sein mögen. Wenn du dir das alles leisten willst, besorgst du dir besser einen Job! Sonst wird das nichts mit den Piercings und 1.000 Dollar teuren Jeans.

Sie wollten auch Millionen machen mit den MC 5, um in ein gegenkulturelles Medienimperium zu investieren.

Ja, wir wollten Geld zusammentragen, um in Radiostationen und Fernsehsender zu investieren. Wir haben früh erkannt, was Massenmedien bedeuten und was es heißt, sich der Kontrolle der großen Konzerne zu entziehen. Als wir unseren ersten Vertrag mit Elektra Records unterzeichneten, war das ein unabhängiges Folk-Label. Ironischerweise war der Effekt von Woodstock, dass die Konzerne erkannten, dass hier ein Massenmarkt entstanden war. Statt sie als einen Haufen von Drogenteufeln zu denunzieren, ihnen einen Haarschnitt zu empfehlen, kann man ihnen auch einen Haufen Scheiß verkaufen. Wenn du sie kontrollieren kannst, machst du Millionen.

Haben die Sixties überhaupt irgendwas verändert?

Sie haben einiges verändert, aber die grundlegenden Strukturen sind dieselben geblieben. Es sieht heute alles noch scheußlicher aus. Das Genie der Bush-Regierung zum Beispiel bestand darin, dass sie über die oberflächlichen kulturellen Grenzen hinweggingen und eine schwarze Frau zur Außenministerin machten. Kosmetisch betrachtet sah das alles sehr progressiv aus. Die Regierung wurde eins mit der “Gegenkultur” - und umgekehrt. Ich rede von der Generation der Bush-Jugend, wie ich sie nenne.

Auf dem Höhepunkt des Vietnamkriegs buddelten Sie vor Ihrem Kommunehaus in Ann Arbor einen “Bombenkrater”. Das war große Kunst.

Das war in der Tat brillant. Die Universität von Michigan war ein Kernelement der heimischen Kriegsmaschinerie. Wir begannen also, auf dem Campus Bombenkrater zu buddeln. Wir wollten den Krieg nach Hause bringen, das war einer unserer Slogans. Doch dann wurden wir mit der Begründung verhaftet, dass wir Privatbesitz zerstört hätten. Na gut, dachten wir, unser Haus gehört uns auch, dann graben wir eben dort! Alle Hippies hassten den Vietnamkrieg. Alle Hippies rauchten Dope. Alle Hippies liebten Rock n Roll und Sex. Und kein Hippie hatte einen Job. Diese Geschichte wird heute nicht mehr erzählt, weil sie zeigt, dass man einen Krieg stoppen kann. Sie wollen dich auch nicht wissen lassen, dass du ein produktives Leben führen kannst, ohne einen Job zu haben. Trotzdem würde ich gerne erleben, dass die Gewerkschaften zurückkommen. Nur noch jeder fünfte Arbeiter in den USA ist heute organisiert.

Macht Sie das bitter?

Sehe ich wie ein bitterer Mann aus? Schauen Sie, ich bin ins Pensionsalter gekommen, ohne jemals einen regulären Job gehabt zu haben, und darauf bin ich sogar stolz. Es hatte geheißen, das gehe nicht. Wenn man auf Acid ist, denkt man, die eigenen Möglichkeiten seien grenzenlos. Man denkt, dass man alles tun kann, was physisch möglich ist. Deswegen haben wir alles versucht. Und wir hatten viel Spaß dabei! Unser Leben war berauschend.

JOHN SINCLAIR

Underground-Journalist, Manager der MC 5, Beatnik, Jazz-Poet, Hippierevolutionär und Gründer der White Panther Party, saß mit dreißig im Gefängnis. John Lennon schrieb für ihn das Lied “John Sinclair”. Die Zeile “They give him ten for two” prangert das Gerichtsurteil an: Zehn Jahre Haft bekam er für zwei Joints, die er einer Zivilpolizistin zusteckte. Eine massive Solidaritätskampagne kam ins Rollen. Schließlich gab die Justiz Sinclair Recht; er kam frei.

Im Berliner Club Transmediale stellte er seinen Film “20 to Life - The Life and Times of John Sinclair” vor. Im Londoner Headpress Verlag ist eben sein neues Buch “Its All Good” erschienen. Dort lässt er die Revolution Revue passieren, andere Texte handeln vom Delta Sound und musikalischen Legenden wie dem Art Ensemble of Chicago. Was noch? “Ich sehe heute besser aus denn je!”